Vor mehr als 20 Jahren schaffte Potsdam als erste Stadt im Land Brandenburg die Sachleistungen ab und zahlte an alle Flüchtlinge Bargeld aus. Damit wurde nicht nur der Verwaltungsaufwand deutlich reduziert, sondern auch diskriminierende Einschränkungen für Menschen abgebaut, die an der Supermarktkasse mit Gutscheinen bezahlen mussten und kritisch beäugt wurden. Der Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs und das Bündnis Potsdam bekennt Farbe vertraten die Vorreiterrolle der Stadt offen, überzeugend und erfolgreich. In den nächsten Jahren folgten immer mehr Landkreise und kreisfreie Städte dem Potsdamer Beispiel. Zuletzt hielt nur noch der Landkreis Oberhavel an den integrationsfeindlichen und bürokratischen Gutscheinen fest.
Seit einigen Monaten haben sich vor allem CDU, SPD und FDP darauf verlegt, auf das Erstarken rassistischer und autoritärer Parteien und Stimmungen mit der Übernahme von AfD-Forderungen und Beteiligung an der Stimmungmache gegen Flüchtlinge zu reagieren. Gerade die SPD und Ministerpräsident Woidke forderten Grenzkontrollen und Abschiebeoffensiven.
Ein absoluter Tiefpunkt im AfD-Ähnlichkeitswettbewerb zwischen SPD und CDU ist die Einführung einer Bezahlkarte für Flüchtlinge. Diese Karte soll nur in bestimmten Landkreisen gültig sein, die Abhebung von max. 50 Euro Bargeld pro Person ermöglichen und so verhindern, dass Geld ins Ausland überwiesen wird. In der Praxis wird es aber kaum dazu führen, dass Schlepperbanden nicht mehr bezahlt werden oder dass weniger junge Menschen aus dem Senegal fliehen, um in Europa ein besseres Leben zu suchen. Ganz sicher aber werden geflüchtete Familien in Brandenburg nicht mehr preiswert in Secondhand-Shops einkaufen oder ihren Kindern das Geld für ein Eis mit auf den Schulausflug geben können.
Am 10. April 2024 beschloss die Stadtverordnetenversammlung deshalb, dass Potsdam erneut Farbe bekennen und die Bezahlkarte nicht einführen soll. Mit dem Beschluss 24/SVV/0206 verpflichtete die SVV, sich im Land gegen die Einführung der Bezahlkarte zu engagieren. Auf die Nachfrage unserer Fraktion im Hauptausschuss, warum der OB denn an Verhandlungen mit den anderen Landkreisen teilnehme, versicherte Schubert noch, dass er dort für den Beschluss der Potsdamer SVV werben oder zumindest höhere Bargeldsätze heraushandeln wolle.
Vor wenigen Wochen fragte die Fraktion Bündnis 90/Grüne in einer Kleinen Anfrage nach der Umsetzung des Beschlusses. Der Oberbürgermeister antwortete: „Die Rahmenbedingungen für die Umsetzung der Bezahlkarte sind durch den Beschluss 24/SVV/0206 vom 10.04.24 für die Verwaltung definiert worden, woran sich diese gebunden sieht. Von Gesetzeswegen steht der Umsetzung dieses Beschlusses nichts entgegen, da der Gesetzgeber den Trägern der Asylbewerberleistungen (TdA) Ermessen einräumt. Der notwendige Bedarf kann durch Geld- oder Sachleistungen oder in Form von Bezahlkarten, Wertgutscheinen oder anderen unbaren Abrechnungen gedeckt werden. Eine fachliche Weisung des Landes liegt nicht vor, so dass das Ermessen durch die Kommunen ausgeübt werden muss.“
Nun überrumpelt der Oberbürgermeister die Stadtgesellschaft plötzlich mit einem Antrag, den geltenden SVV-Beschluss aufzuheben und die Bezahlkarte einzuführen. Allerdings wurde in den Gesprächen mit den anderen Kreisen weder die verfügbare Bargeldsumme erhöht, noch irgendeine Erleichterung bei der Handhabung der Karte erreicht. Der Oberbürgermeister verweist einfach darauf, dass eine einheitliche Regelung im ganzen Land wünschenswert ist und schließt sich den diskriminierenden Regelungen der Mehrheit an. Dabei hat kürzlich das Sozialgericht Hamburg eine Bezahlkarte mit der pauschalen Bargeldobergrenze von 50 Euro für rechtswidrig erklärt.
Besonders schäbig finden wir, dass der Oberbürgermeister in den letzten Monaten auf Zeit gespielt hat, um nun nach der Kommunalwahl mit den Stimmen der erstarkten AfD den Weg für die Bezahlkarte in Potsdam freizumachen.
DIE aNDERE wird sich selbstverständlich weiter gegen die Einführung der Bezahlkarte wenden. Wir rufen alle Stadtverordneten auf, sich gegen den Versuch zu wenden, menschenfeindliche und unsoziale Positionen der AfD zu übernehmen. Dem Rechtsruck in unserer Gesellschaft kann nur wirksam begegnen, wer Demokratie und Menschenrechte verteidigt und die gravierende soziale Ungerechtigkeit abbaut.